Elektrorennwagen des Formula Student Teams Blue Flash

Wenn ein rein elektrisch betriebener Rennwagen performant sein soll, läuft es in der Regel auf die Verwendung eines Hochvoltantriebs hinaus. Deswegen  betreibt das Formula Student Team Blue Flash Mobility Concepts von der HAWK Göttingen Ihren Elektrorennwagen mit einem 450V Akkumulator. Um die Gefahren im Umgang mit Hochvoltsystemen richtig einschätzen zu können, wird das Team Blue Flash seit 2018 von VadoTech geschult.

Bei entsprechenden HV-Schulungen bildet VadoTech jedes Jahr Teammitglieder*innen zu fachkundigen Personen (FHV) nach DGUV I 209-093 aus. Wie diese Kooperation zustande gekommen ist und warum das Team einen hochvoltangetriebenen Elektrorennwagen baut, können Sie im ersten von zwei Blog-Beiträgen lesen. Im nun folgenden zweiten Teil gibt das Team Einblicke in die Technik der E_HAWKs die eigens konstruierten Elektrorennwagen für die Formula Student In diesen setzen die jungen Ingenieur*innen das Wissen aus den Hochvoltschulungen in die Praxis um.

Das Rennteam mit ihrem Elektrorennwagen E_HAWK
©FSG – seizinger

Aktuelle Besonderheiten beim Elektrorennwagen des Formula Student Teams

Die Fahrzeuge der Formula Student sind keineswegs Serienfahrzeuge oder auch nur seriennahe Fahrzeuge. Nahezualle Teile produziert das Teamin Kleinserien und optimiert diese von Jahr zu Jahr. Das betrifft allerdings nicht nur die mechanischen Komponenten, sondern auch elektrotechnische Komponenten. Der Motor, Wechselrichter und die Akkuzellen werden teils nach Maß gebaut und zugekauft. Alle weiteren Komponenten entwickeln und konstruieren die Studierenden selbst. Dadurch hat das Team bereits seit mehreren Jahren eine sehr hohe Fertigungstiefe. Doch je mehr die Studierenden selbst entwickeln, desto höher ist auch das Risiko. Daher ist es für das Team sehr wichtig, in puncto Arbeitssicherheitstets am Puls der Zeit zu entwickeln. Genau dabei unterstützt VadoTech das Team mit Hochvoltschulungen und technischem Know-how.

Gefahren bei der Fahrzeugentwicklung vorbeugen

Im Rahmen der Hochvoltschulungen lernen die Studierenden sicher mit den Gefahren des elektrischen Stroms umzugehen und wie diese Gefahren durch kluge Designentscheidungen von Anfang an vermieden werden können. Dieses Wissen findet bei Blue Flash zum Beispiel im selbst entwickelten Akkumulator für den Elektrorennwagen Anwendung. Der Akkukasten ist so gebaut, dass durch das Öffnen des Deckels die Kontakte zwischen den Zellstacks getrennt werden. Die Konsequenz: Es liegt nur noch ein Bruchteil der Gesamtspannung an.  Gleichzeitig sind die Kontakte durch 3D-Druck Bauteile gegen Berührung geschützt. Das Design verhindert außerdem, dass der Akkudeckel falsch eingesetzt werden kann und damit einen Kurzschluss verursacht. Mit dieser einfachen Lösung stellt das Team den vollständigen Basisschutz nach DIN VDE 0100-410 her. Darüber hinaus werden die beim Trennen der Spannung entstehenden Lichtbögen im System gehalten, sodass auch diese nicht auf den Menschen überspringen können.

Dies sind nur zwei Beispiele, in denen bereits während der Entwicklung konkrete Gefahrenvermeidung stattfindet.

Sicherheit während des Betriebs durch den Shutdown Circuit

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Sicherheitskonzepts der E_HAWKs ist der sogenannte Shutdown Circuit (Abschaltstromkreis). Dieser besteht aus vielen Gliedern, die alle sicherheitsrelevante Aspekte des Fahrzeugs überwachen. Den Gesamtaufbau stellt das Team in der folgenden Grafik dar:

Abschaltstromkreis Beschreibung des Aufbaus

Der Shutdown Circuit ist so aufgebaut wie die Pilot-Linie in einigen Elektroautos, die bereitsauf dem Markt ist. Wird die Pilot-Linie an irgendeinem Punkt im Fahrzeug durchtrennt, öffnen die im Akku verbauten Relais, sodass außerhalb vom Akku-Kasten keine Spannung mehr anliegt und das Fahrzeug zum Stillstand kommt. Dadurch können die vielen Sicherheitssysteme des Elektrorennwagens einzeln entwickelt und dezentral angebracht werden. Die Sicherheitssysteme können grundsätzlich in zwei Kategorien aufgeteilt werden. Auf der einen Seite gibt es die aktiven Elemente des Shutdown Circuits. Dazu zählen zum Beispiel die Shutdown-Buttons (Not-Halt-Schalter) und die Master-Switches, die das Niedervolt- (LV) und Hochvoltsystem (HV) einschalten. Diese aktiven Elemente müssen von einer Person betätigt werden, bevor sie die Pilot-Linie trennen oder verbinden.

Deutlich relevanter und sicherheitskritischer sind allerdings die passiven Sicherheitssysteme. Zum einen gibt es dort das Insulation-Monitoring-Device (IMD – dt. Isolationswächter), das den Isolationswiderstand zwischen dem Hochvoltsystem und dem Rahmen an mehreren Punkten misst. Im Falle eines Kurzschlusses wird das Hochvoltsystem abgeschaltet, sodass kein Schaden an Personen entsteht.

Das nächste wichtige Sicherheitssystem ist das sogenannte „Accumulator Management System“ kurz AMS. Dieses überwacht z.B. die Zellspannungen der einzelnen Akku-Zellen, aber auch die Temperaturen im Akku-Kasten. Zusätzlich sind auch einige analoge Logik-Schaltungen eingebaut, die unplausible Werte direkt erkennen und in dem Fall ebenfallsdie Pilotlinie auftrennen.Solche unplausiblen Werte können allerdings nicht nur im Akku, sondern auch anderweitigim Fahrzeug auftreten. Um zu verhindern, dass Gas und Bremse in übermäßigem Maße gleichzeitig funktionieren, existiert das BSPD (Brake system plausibility device). Dieses überprüft den Bremsdruck im System sowie die Stellung des Gaspedals und kann im Fehlerfall das System freischalten. Bevor dieses auslöst, greift allerdings ein vom Team implementiertes Software-BSPD, das die Motorleistung je nach Bremsdruck drosselt.

Der sogenannte „brake over travel switch” überwacht ebenfalls das Bremssystem, genauer gesagt das Bremspedal. Dieser mechanischer Schalter ist  hinter dem Gaspedal angebracht. Falls das Bremssystem undicht ist, erweitert sich der Bremsweg so weit, dass der Schalter umgelegt wird und das Fahrzeug zum Stillstand kommt.

Ein derartiger Stillstand kann auch ungewollt auftreten. Um im Falle eines Crashs das Hochvoltsystem abzuschalten, ist ein Crash Sensor (Inertia Switch) verbaut. Dieser löst bei hohen Beschleunigungen aus und kann, falls fälschlicherweise gedrückt, einfach resettet werden. Im Falle eines Unfalls muss dennoch die Spannungsfreiheit überprüft und festgestellt werden. Trotz dessen wirdeine höhere Sicherheit im Crash-Fall erreicht, da das Fahrzeug nicht mehr zwangsläufig aktiv freigeschaltet werden muss. Dadurch können Fahrer auch im Crash-Fall unversehrt aus dem Fahrzeug kommen.

Die Rennfahrzeuge sollen in Zukunft autonom fahren

Da die Fahrzeuge des Teams Blue Flash in Zukunft auch autonom, also ohne Fahrer, fahren sollen, gibt es zwei weitere Sicherheitseinrichtungen. Zum einen das „remote emergency system“ (RES), mit dem per Fernauslöser das Fahrzeug gestoppt und die Not-Bremse ausgelöst werden. Zum anderen das AS-Latching, dasdie Funktionalität des autonomen Systems überwacht und das Fahrzeug spannungsfrei schaltet, sobald ein Fehler erkannt wird.

Die letzten verbleibenden Sicherheitseinrichtungen sind die bekannten Interlocks der Hochvoltverbinder, des Akkukastens und des Wechselrichters. Diese überwachen die korrekte Verbindung der Stecker und schalten im Fehlerfall das Hochvoltsystem des Elektrorennfahrzeugs in einen spannungsfreien Zustand.

Erprobung des Verhaltens im Fehlerfall und der Arbeiten unter Spannung 

Leider können nicht alle Gefahren durch kluge Entwicklungen vermieden werden. Daher ist das Fahrzeug mit einem sogenannten Shutdown Circuit (Abschaltstromkreis) ausgestattet. Dieser verbindet alle Sicherheitseinrichtungen des Fahrzeugs miteinander. Im Fehlerfall wird der Shutdown Circuit geöffnet und das Fahrzeug kommt sicher zum Stehen. In diesem Moment ist das Fahrzeug dann freigeschaltet und kann von den Electrical System Officers (ESOs) untersucht werden. Im Fehlerfall ist allerdings die Eigensicherheit des Fahrzeugs nicht mehr gewährleistet. Damit der Rennwagen auch in so einem Fall von den ESOs untersucht werden kann, werden diese entsprechend der DGUV I 209-093 bei VadoTech geschult. Bei dieser Schulung erlernen die angehenden ESOs den sicheren Umgang mit unter Spannung stehenden Teilen. Nachdem das Fahrzeug freigeschaltet und abgeschrankt wurde, kann geprüft werden, ob Spannungsfreiheit vorliegt. Im Fehlerfall kann der Fehler nun durch die Entwickler*innen behoben werden.

Sobald dieser behoben ist, kann der zuständige ESO anschließend eine Wiederinbetriebnahme durchführen. Diese ist ein fester Bestandteil der Ausbildung zur FHV. Da die ESOs dieses Vorgehen bereits mehrfach an dem Audi Q7 e-tron bei VadoTech geübt haben, stellt die Wiederinbetriebnahme keine große Herausforderung mehr dar.

©FSG – grobe
©FSG – maru

Rückblick 2022

Alle aktuell genutzten Systeme bieten bereits im Arbeitsalltag deutliche Vorteile. Durch die Integration des Shutdown-Circuits kann der Fahrer durch das Betätigen eines Buttons das Fahrzeug eigenständig freischalten und sicher abstellen, wenn ein Fehler auftritt.
Da innerhalb des Akkus nach dem Abnehmen des Deckels keine hohen Spannungen mehr anliegen, besteht ein deutlich geringeres Grundrisiko bei Arbeiten an Komponenten des Akkus. So sinkt sowohl die Zeit, die für Arbeitsschritte gebraucht wird, als auch die Fehleranzahl.

Pläne für die kommende Saison 2023

In der aktuellen Saison hat das Formula Student Team das Hochvoltkonzept für den Akku noch nicht angepasst. Für die kommende Saison entwickelt das Team allerdings bereits die Vorentwicklung für ein neues Akkukonzept basierend auf einer neuen Zellchemie. Daher ist das Ziel, das Sicherheitskonzept im gleichen Zuge zu überarbeiten.

Darüber hinaus wird der Shutdown Circuit mit einer zusätzlichen Überwachung ausgestattet, sodass im Fehlerfall der Fehler schneller und einfacher zu finden ist. Um dies zu ermöglichen, wird hinter jedem Element des Shutdown Circuits überprüft, ob das System bis dorthin funktioniert. Dadurch wird ein Fehlerpunkt eindeutig erkennbar.

Damit das Team auch weiterhin so ein hohes Maß an Sicherheit bei der Entwicklung und dem Betrieb seiner selbstgebauten Elektrorennwagen gewährleisten kann, begleiten wir das Team auch in der kommenden Saison als Sponsoren. Das Team wächst und verändert sich von Semester zu Semester. Durch Schulungen im Umgang mit Hochvoltsystemen und der Umsetzung von klugen Designentscheidungen kann das Team potenzielle Gefahrenquellen bereits in der Entwicklungsphase vermeiden. Von daher sind wir gespannt auf den neuen Entwicklungsstand beim Rollout Mitte Mai in Göttingen.